• Autoindustrie versucht mit „schmutzigen Tricks“, strengere EU-Abgasnormen zu verhindern

    Ehrgeizige gesetzliche Grenzwerte für fast 100 Millionen Neuwagen werden die öffentliche Gesundheit über Jahrzehnte hinweg verbessern

    Die europäische Automobilindustrie versucht mit aggressiver Lobbyarbeit und unbelegten Behauptungen, die EU-Pläne zur Verringerung der Umweltverschmutzung durch den Straßenverkehr zu untergraben, so die Nichtregierungsorganisation Transport & Environment (T&E) heute in einem Informationspapier.

    T&E warnt davor, dass die Gesundheit der Bürger über Jahrzehnte hinweg leiden wird, wenn es der Industrie gelingt, die vorgeschlagenen neuen Normen für für den Schadstoffausstoß  von Pkw, Transportern, Bussen und Lkw zu verwässern. Die Euro-7-Abgasnorm legt Grenzwerte für fast 100 Millionen Benzin- und Dieselfahrzeuge fest, die nach 2025 in der EU verkauft werden.[1]

    Anna Krajinska, Abgasexpertin  bei T&E, erklärte: „Erschwingliche Technologie kann zu einer enormen Senkung der Fahrzeugemissionen führen, und zwar für weniger als den Preis einer      Lackierung für ein durchschnittliches neues Auto. Dies ist eine einzigartige Gelegenheit, die Luft in ganz Europa sauberer zu machen.“

    Sie fügte hinzu: „Doch anstatt sich für Innovationen zur Vermeidung von Schadstoffemissionen einzusetzen, wehrt sich die Autoindustrie aggressiv gegen strengere Vorschriften und wendet dabei offensichtlich schmutzige Tricks an, wie zum Beispiel die irreführende Behauptung, die Kosten würden Arbeitsplätze und Unternehmen gefährden. Die Gesetzgeber sollten die Panikmache der Industrie ignorieren und sich darauf konzentrieren, das Richtige für die Gesundheit von Millionen von Bürgerinnen zu tun.“

    Die Minderung der Luftverschmutzung ist eine der obersten Prioritäten des Green Deals der EU, Die Europäische Kommission prüft derzeit Empfehlungen für neue Abgasnormen für Kraftfahrzeuge. Dafür hat sie unabhängige Experten beauftragt , die besten verfügbaren Technologien zu prüfen.

    Abgase die durch den Straßenverkehr entstehen sind eine Hauptursache von Luftverschmutzung und verursachen zahlreiche schwere Krankheiten, darunter Herz- und Lungenerkrankungen sowie Krebs. Jedes Jahr ist die Luftverschmutzung durch den Straßenverkehr in der EU für Zehntausende vorzeitige Todesfälle[2] verantwortlich, wodurch der Gesellschaft Gesundheitskosten in Höhe von mehreren Milliarden Euro entstehen.[3] Haushalte mit niedrigem Einkommen und Minderheiten sind unverhältnismäßig stark von den Auswirkungen schlechter Luft betroffen.

    Im Gegensatz dazu schätzt die Europäische Kommission, dass die Einführung sauberer Abgastechnologien zur Erfüllung der Euro-7-Abgasnorm den Preis eines Autos gerade einmal um 100 bis 500 Euro erhöhen würde,[4] weniger als die  Lackierung eines  Einstiegsmodells wie dem VW Golf oder Ford Fiesta, die über 700 Euro kosten kann. Bei Lkws würde die Einhaltung der Vorschriften die Gesamtbetriebskosten über einen Zeitraum von fünf Jahren um weniger als 1 % erhöhen.

    Die EU-Entscheidungen zur Euro-7-Abgasnorm werden die Luftqualität in Europa eine ganze Generation lang beeinflussen. Nach Berechnungen von T&E werden zwischen dem Inkrafttreten der Norm im Jahr 2025 und 2035, dem Jahr, in dem nach Vorschlag der EU-Kommission der Verkauf von neuen Autos und Lieferwagen mit Verbrennungsmotoren verboten werden soll, 95 Millionen Autos verkauft werden. Und diese Autos könnten bis 2050 auf den Straßen unterwegs sein: Im Durchschnitt sind Fahrzeuge in Europa elf Jahre lang in Betrieb, viele sogar mehr als 15 Jahre, vor allem in Ost- und Südeuropa. Lkw mit Verbrennungsmotoren werden voraussichtlich noch mindestens bis Mitte der 2030er Jahre verkauft werden, und viele bleiben zwölf Jahre oder länger auf der Straße.

    Im Informationspapier „Die sieben (schmutzigen) Luftverschmutzungstricks der Autoindustrie“ wird davor gewarnt, dass die Industrie versucht, die Öffentlichkeit und die Regierungen gegen Euro 7 aufzubringen, indem sie die Angst schüren, die strengen neuen Normen würden zu geringeren Absatzzahlen und Arbeitsplatzverlusten führen.

    Autoindustrie gibt Milliarden für Lobbyarbeit in Brüssel aus

    Allein im Jahr 2020 gaben der Verband der Europäischen Automobilhersteller (ACEA), Volkswagen, Daimler und BMW fast 9 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus.[5] Anfang dieses Jahres startete der ACEA eine öffentliche Kampagne gegen die Euro-7-Abgasnorm und stellte unbegründete Behauptungen auf, wonach die Gesetzgebung auf ein Verbot des Verbrennungsmotors hinauslaufen würde.[6]

    Die Industrie argumentiert, dass Euro 7 zu teuer und technisch nicht umsetzbar sei. In seinem Papier weist T&E jedoch darauf hin, dass Abgastechnologien seit 2008, als die aktuellen Euro-6-Normen vereinbart wurden, erhebliche Fortschritte gemacht haben. So sind beispielsweise Elektrokatalysatoren, die Abgase beim ersten Anlassen des Motors drastisch reduzieren können, und die Bremsstaubabsaugung, die gefährliche Partikelemissionen der Bremsen verringert, technisch umsetzbar und erschwinglich.

    Eine von ACEA veröffentlichte Studie behauptet, dass Euro 7 die Luftverschmutzung nur begrenzt verringern und damit nur geringfügige Auswirkungen auf die Gesundheit hätte. Diese Studie basiert jedoch auf weniger ehrgeizigen Abgasnormen als die tatsächlich erwogenen und sie enthält zahlreiche Mängel. Unter anderem werden Benzinfahrzeuge, welche heute die Mehrheit der verkauften Neuwagen ausmachen, in den Berechnungen nicht berücksichtigt.[7]

    Die T&E-Studie warnt daher: „Die Autoindustrie hat eine lange Tradition zuerst Pankik vor neuen Abgasnormen zu schüren, die  Einhaltung sei unmöglich, zu teuer oder würde den Absatz gefährden, nur um sich dann, nach Inkrafttreten der Verordnung, für deren vollständige Einhaltung selbst zu loben.“

    Im Bericht wird zudem kritisiert, dass die Industrie „Vorschriften schon seit langer Zeit umgeht“. Im Juli verhängte die Europäische Kommission eine Geldstrafe in Höhe von 875 Millionen Euro gegen Volkswagen und BMW, weil die beiden Hersteller Absprachen mit Daimler getroffen hatten, um die Einführung sauberer Abgastechnologien zu verhindern. Volkswagen hat bereits mehr als 32 Milliarden Euro an Strafen und Entschädigungen im Zusammenhang mit dem „Dieselgate“-Abgasskandal gezahlt und vier ehemalige VW-Manager stehen derzeit in Deutschland wegen vermeintlichen Betrug und Steuerhinterziehung vor Gericht.

    Die Europäische Kommission soll noch in diesem Jahr einen Entwurf zur Euro-7-Norm vorlegen und prüft derzeit die Empfehlungen unabhängiger Emissionssachverständiger. Sie hat das CLOVE-Konsortium (Consortium for Ultra Low Vehicle Emissions) damit beauftragt, aktuelle technische Lösungen und deren Wirtschaftlichkeit zu bewerten. CLOVE hat mehr als zwei Jahre lang die besten verfügbaren Abgastechnologien untersucht.

    Die Expertengruppe hat vorgeschlagen, die neuen Normen im Vergleich mit den Euro-6-Normen im Bezug auf verschiedene gesundheitsschädliche Emissionen deutlich strenger zu gestalten: Die Stickoxidemissionen (NOx)  sollen von 80 mg/km auf 20 mg/km sinken, die Partikelemissionen um mehr als 80 % reduziert werden.

    T&E fordert außerdem, dass die Euro-7-Norm die Schlupflöcher schließt, aufgrund derer Fahrzeuge die gesetzlichen Grenzwerte deutlich überschreiten dürfen, dies ist zum Beispiel bei schneller Beschleunigung und kurzen Fahrten in der Stadt der Fall. In Städten können Lkw deshalb  das Achtfache des gesetzlichen NOx-Grenzwerts ausstoßen, weil die offiziellen Tests das Fahren mit geringer Geschwindigkeit derzeit nicht erfassen.

    Im Papier heißt es dazu: „Euro 7 muss sicherstellen, dass die Emissionsgrenzwerte unter allen Fahrbedingungen und während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs gelten, damit das Problem der Luftverschmutzung nicht auf weniger wohlhabende EU-Mitgliedstaaten verlagert wird.“

    [1] Basierend auf dem internen Modell von T&E für die EU-CO2-Normen für Kraftfahrzeuge, einschließlich der von IHSM erhaltenen Produktionsdaten.

    [2] Schätzungsweise 42.000 Todesfälle im Jahr 2015, darunter 13.000 in Deutschland; 7.800 in Italien; 6.400 in Frankreich. ICCT (2019). Vgl. Tabelle 4 in: A global snapshot of the air pollution-related health impacts of transportation sector emissions in 2010 and 2015 [Eine globale Momentaufnahme der durch Luftverschmutzung bedingten gesundheitlichen Auswirkungen der Emissionen des Verkehrssektors in den Jahren 2010 und 2015].

    [3] Die Gesamtkosten im Jahr 2016 werden auf 66-80 Mrd. EUR geschätzt, fast ausschließlich im Gesundheitswesen. EPHA. (2020). Vgl. Tabelle 2 in: Health impacts and costs of diesel emissions in the EU [Gesundheitliche Auswirkungen und Kosten von Dieselemissionen in der EU].

    [4] Mündliche Aussage von Kerstin Jorna, Generaldirektorin für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, vor dem Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments (15. Juni 2021)

    [5] Kombiniertes EU-Lobbying-Budget 2020 für ACEA, VW, Daimler und BMW, wie es aus dem EU-Transparenzregister im August 2021 hervorgeht.

    [6] Autocar: Analysis: new rules could make ICE engines unviable by 2026 [Analyse: Neue Vorschriften könnten ICE-Motoren bis 2026 unrentabel machen] (28. Mai 2021). Vgl. auch Euractiv: EU plotting ban on internal combustion engines as of 2025: industry [EU plant Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2025: Industrie]. (2. März 2021)

    [7] ACEA. (2021) AERIS Air Quality Report – Euro 7 impact assessment [AERIS-Bericht zur Luftqualität – Euro-7-Folgenabschätzung].