Pressemitteilung

Neue Analyse: Mehr Flugverkehr führt meist nicht zu Wirtschaftswachstum

13. November 2025

Neue Forschungsergebnisse widerlegen pauschale Aussagen der Luftfahrtindustrie, die den Ausbau von Flughäfen damit rechtfertigt, dass mehr Flüge der Wirtschaft zugutekommen. Flughafen Frankfurt wird trotz “Sättigung” der Region ausgebaut, d.h. zusätzliche Flugkapazitäten haben keine oder sogar negative Effekte auf das Wirtschaftswachstum.

Eine neue Studie im Auftrag von T&E zeigt, dass die Aussagen der Luftfahrtindustrie fehlerhaft sind, nach denen eine verbesserte Luftverkehrsanbindung automatisch zu mehr Wirtschaftswachstum führe. Die Studie der New Economics Foundation [1] ist die erste europaweite Analyse, die den Zusammenhang zwischen dem Wachstum des Luftverkehrs und dem Wirtschaftswachstum untersucht.

Untersucht wurden 274 europäische Regionen. Die Analyse zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Wachstum im Luftverkehr und in der Wirtschaft schwächer ist als allgemein behauptet: In 53 Prozent (143) der untersuchten Regionen, darunter ein Großteil Nord- und Westeuropas, führt das höhere Einkommen der Bürgerinnen und Bürger zu einem Anstieg des Flugverkehrs und nicht umgekehrt. Laut Analyse ist das Wachstum des Flugverkehrs meist eine Folge des Wohlstands und nicht dessen Ursache. Lediglich in 37 Prozent der untersuchten Regionen ist der Luftverkehr ein Wachstumsmotor.

Die Studie untersucht anhand einer statistischen Clustertechnik, inwieweit die Zunahme des Passagierflugverkehrs das Wirtschaftswachstum in verschiedenen Regionen vorantreibt. In den Regionen der Cluster 3 und 4 (siehe Karte oben) war die Wahrscheinlichkeit, dass das Wachstum des Flugverkehrs das Wirtschaftswachstum ankurbelt, gering oder negativ. In den Regionen der Cluster 1 und 2 war die Wahrscheinlichkeit moderat.

„Den Flugverkehr unkontrolliert wachsen zu lassen, ist nicht nur schlechte Klima-, sondern auch schlechte Wirtschaftspolitik“, sagt Marte van der Graaf, Referentin für Luftfahrt bei T&E Deutschland. „In weiten Teilen Europas argumentiert die Luftfahrtindustrie, der Ausbau von Flughäfen und Flügen würde zu Wirtschaftswachstum führen. Doch diese Argumentation ist ein Mythos der Industrie. Fakten stützen diese pauschalen Aussagen nicht, sondern zeigen ein wesentlich differenzierteres Bild. Die Bundesregierung sollte nicht auf diese Behauptungen hereinfallen.“

Sättigung in stark vernetzten Regionen

Die Studie stellt fest, dass in bestimmten Regionen Nord- und Westeuropas zusätzlicher Flugverkehr zu sinkenden oder sogar negativen wirtschaftlichen Erträgen führt – dies wird in der Forschung als „Sättigung” bezeichnet. Dieser Effekt ist in Regionen in Belgien, den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland zu verzeichnen, wo der Flugverkehr zunehmend von Menschen dominiert wird, die im Ausland Urlaub machen. Gleichzeitig stagnieren oder sinken Geschäftsreisen in den letzten zehn Jahren in den meisten Teilen Nord- und Westeuropas. In rund drei Viertel der europäischen Länder ist die Zahl der Geschäftsreisenden im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie (2019–2024) zurückgegangen.

Trotz des Rückgangs bei Geschäftsreisen behauptet die Branche, diese Regionen würden von zusätzlichen Geschäftsreisen profitieren, obwohl vielerorts bereits Sättigung zu verzeichnen ist. Der Ausbau des Frankfurter Flughafens ist im Gange, für London Heathrow und Brüssel laufen die Planungen. In all diesen Fällen wird Wirtschaftswachstum infolge des Ausbau versprochen. Mit Blick auf die neuesten Studienergebnisse sind diese Flughafenerweiterungen laut T&E jedoch ungerechtfertigt und sollten gestoppt werden.

Wir müssen die europäische Luftverkehrsstrategie grundlegend überdenken. Der Ausbau von Flughäfen und die Entscheidung über Kapazitäten müssen sich an aktuellen Analysen orientieren, wobei Qualität, Umweltverträglichkeit und Fairness Vorrang vor reinen Zahlen haben sollten. Die Politik kann sich bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Werts der Luftfahrt nicht länger auf veraltete Annahmen stützen“, sagt Dr. Alex Chapman, Senior Economist bei der New Economic Foundation.

In traditionellen Tourismusdestinationen ist der Zusammenhang zwischen Luftverkehr und Wirtschaftswachstum komplexer. Dies gilt z.B. für Länder wie Spanien, Italien und Portugal. Die Studie macht deutlich, dass der Rückgang des wirtschaftlichen Werts von Flugtourismus durch folgende Schlüsselfaktoren geprägt ist: Besucher bleiben kürzer an vielen Destinationen, der Anstieg informeller Unterkünfte hat die traditionelle Tourismusinfrastruktur geschwächt, dahingegen bieten gute Landverkehrsanbindungen und Inlandstourismus wertvolle Alternativen zum Fliegen mit geringeren Auswirkungen.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in südeuropäischen Tourismuszielen ist von 4,3 Nächten um das Jahr 2000 auf 3,4 Nächte in 2023 gesunken. Dieser Trend zu kürzeren Urlauben erhöht den Anteil der Transportkosten an den Ausgaben für touristische Reisen in Europa und verringert den Wert jeder zusätzlichen Reise.

Die Studie hebt auch die geringeren Umweltauswirkungen von Straßen- und Schienenverkehr hervor, wenn diese den Luftverkehr ersetzen. Gut vernetzte Straßen und Schienen können ähnliche wirtschaftliche Vorteile bei geringeren Treibhausgasemissionen bieten.

Historisch weniger gut vernetzte Regionen in Osteuropa weisen eine ähnliche Beziehung zwischen Luftverkehr und Wirtschaftswachstum auf, wie die von Forschern in Westeuropa in den 1990er und frühen 2000er Jahren beschrieben. Ihr geringerer Entwicklungsstand und ihre schlechtere Anbindung in Verbindung mit einer wachsenden Nachfrage nach Geschäftsreisen bieten Raum für ein durch bessere Anbindung bedingtes Wirtschaftswachstum.

Anmerkungen für die Redaktion:

[1] Diese Studie ist die erste von drei, die sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des Wachstums im Luftverkehr befassen. 

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