• Wo bleibt Bundeskanzler Scholz?

    Warum ein Plan für die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland aus der Politik kommen muss

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sorgte Anfang dieser Woche mit ihrer Ankündigung einer Prüfung illegaler chinesischer Subventionen für Elektrofahrzeuge für großes Aufsehen in der europäischen und chinesischen Automobilindustrie.

    Warum zeigt man sich in Frankreich zufrieden, während deutsche Autohersteller in den Abgrund blicken? Der Grund ist einfach. Deutschland hat ein Problem, das Frankreich nicht hat: Die industriepolitische Strategie hierzulande wird durch widersprüchliche Interessen unserer Autohersteller gelähmt. Einerseits fürchten sie, in Deutschland Marktanteile an günstige chinesische Anbieter zu verlieren. Andererseits machen sie noch einen Großteil ihrer Gewinne im Reich der Mitte und fürchten nun chinesische Vergeltungsmaßnahmen.

    Deutschlands Abhängigkeit von China ist kein Geheimnis. Deutsche Hersteller haben dort eine Menge Geld verdient, aber die Party ist vorbei. Unsere Marken sind nicht einmal unter den Top 10 der E-Autoverkäufe vertreten, die in China bereits 25 Prozent der Neuzulassungen ausmachen. Der chinesische Markt für Elektroautos wird bald die 50 Prozent-Marke knacken und sich dann weiter in Richtung 100 Prozent bewegen. Und hier liegt unser wirkliches Problem: In puncto Batterien und Software können wir technologisch kaum mithalten. Während chinesische Autohersteller Innovationen vorangetrieben und Herstellungskosten stetig gesenkt haben, hat man sich hierzulande über Rekordgewinne durch die Technik der Vergangenheit gefreut – den Verbrenner. Ohne eine klare Kursänderung wird die deutsche Automobilindustrie nicht bestehen – weder in China, in Europa, noch darüber hinaus. 

    Das ist mittlerweile allen Expert:innen klar, doch wenn man unserem Verkehrsminister Volker Wissing und Teilen der Automobilindustrie auf der IAA Glauben schenkte, könnte man meinen, das wahre Problem sei die mangelnde Unterstützung der EU für E-Fuels.

    Vom Erfolg verwöhnt, handelten die Chefs der deutschen Autohersteller und Zulieferer lange Zeit arrogant und kurzsichtig. Es war diese Arroganz, die mit dem Dieselskandal das Vertrauen in deutsche Industrie auf der ganzen Welt in Frage gestellt hat. Und es ist diese Arroganz, die unsere Autoindustrie dazu brachte, zunächst über Tesla zu spotten und dann so zu tun, als wäre es ein Kinderspiel, mit Tesla und chinesischen Herstellern gleichzuziehen. Schließlich wüssten nur deutsche Hersteller, wie man qualitativ hochwertige Autos baut und diese massenhaft in Serie produziert. Heute dominiert Tesla das Premium-Segment der Elektroautos und plant, sein Berliner Werk zur größten Produktionsstätte Deutschlands auszubauen und dort jährlich eine Million Autos vom Band laufen zu lassen. 

    Es ist Zeit für einen grundlegenden Wandel. Dieser Wandel wird nicht von der Autoindustrie ausgehen. Er muss von unserer Regierung kommen. Er muss aus dem Kanzleramt kommen.

    Scholz hat bisher versäumt, eine klare Vision für Deutschland als führenden Automobilstandort zu entwickeln. Er hat zugelassen, dass Wissing Deutschland in Europa und jüngst auch international mit einer E-Fuel-Koalition blamiert, der sich so wenige Staaten anschließen wollten, dass das Ministerium die Idee wieder verwerfen musste. Das ist keine Lappalie, das ist Symbol einer völlig fehlgeleiteten Strategie.

    Ein Plan für die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland könnte wie folgt aussehen:

    1. Zwei von drei neuen Autos werden gewerblich zugelassen, ein großer Teil von ihnen als klassische Dienstwagen. Eine ökologische Reform der Dienstwagenbesteuerung ist einer der wichtigsten Hebel für einen schnellen Hochlauf der E-Mobilität. So würde sichergestellt, dass nur vollelektrische Firmenwagen Steuervorteile genießen und Steuerzahler:innen keine klimaschädlichen Verbrenner subventionieren.
    2. Die Unterstützung für Elektrofahrzeuge durch Kaufprämien muss über bestehende Planungen hinaus fortgesetzt werden. Sie muss allerdings auf kleine und erschwingliche batteriebetriebene Elektroautos (BEVs) für Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen beschränkt werden.
    3. Die unvermeidliche Umstrukturierung der Autoindustrie muss politisch flankiert werden. Arbeitskräfte müssen nachhaltig umgeschult und neu qualifiziert werden, um dem Fachkräftemangel – nicht nur in Bezug auf den Übergang zur E-Mobilität – Rechnung zu tragen.
    4. Die deutsche Automobilindustrie muss mehr investieren. Viele große Hersteller haben in den letzten Jahren Rekordgewinne erzielt. Statt diese für immer höhere Dividenden oder Aktienrückkaufprogramme zu verwenden, sollten die Investitionen in die gesamte Wertschöpfungskette der E-Mobilität nachhaltig erhöht werden. Deutsche Hersteller sind längst nicht mehr Technologieführer. Der Anspruch der deutschen Automobilindustrie sollte sein, die Konkurrenz bei Investitionen in Zukunftstechnologien zu übertreffen. Momentan ist das Gegenteil der Fall.
    5. Industrie und Politik müssen sich der Realität stellen und sich auf Schwierigkeiten beim Handel mit China vorbereiten. Die EU hat mit dem Einleiten der Subventions-Prüfung einen notwendigen Schritt getan. Die Abhängigkeit unserer Automobilhersteller vom chinesischen Markt ist genauso problematisch wie es unsere Abhängigkeit von russischem Gas war. Deutschland darf denselben Fehler nicht wiederholen. Wir können uns jetzt auf die Zukunft vorbereiten – oder in drei bis fünf Jahren ein noch böseres Erwachen erleben.

    Denn zur Wahrheit gehört auch, dass chinesische Elektroautos nicht das einzige Problem Deutschlands sind. Die IRA-Subventionen der USA sind eine mindestens genauso große Herausforderung. Die EU und Deutschland müssen lernen, sich gegen unfaire Handelspraktiken zu wehren. Frankreich beschränkt durch Steuergelder finanzierte Subventionen auf umweltfreundliche, in Europa hergestellte Autos. Warum tun wir nicht dasselbe? Warum sollten deutsche Steuerzahler:innen Elektroautos und Batterien aus China oder den USA subventionieren? 

    Zur politischen Aufrichtigkeit gehört auch anzuerkennen, dass Deutschland nie der Heilige des Freihandels war, der keine Industriepolitik betreiben würde. Der enorme Erfolg des Diesels beruhte fast vollständig auf industriepolitischen Entscheidungen (billiger Kraftstoff, laxe Emissionsnormen, etc.). Einer der Gründe dieser Politik war von jeher, japanische und US-amerikanische Autohersteller vom EU-Markt fernzuhalten.

    Unsere Autoindustrie steht vor der größten Herausforderung seit ihrem Bestehen. Seit dem Dieselskandal ist klar, dass die Chefetagen der Autoindustrie selten über kurzfristige Gewinne hinausdenken. In den USA, der EU und Frankreich zeigen die Präsident:innen Führungsstärke. Wo bleibt Bundeskanzler Scholz?